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11.09.2000


Temelin: Sicherheit nicht ausreichend nachgewiesen - Umweltverträglichkeitsprüfung vor Inbetriebnahme unerlässlich

In der Ausgabe der "Passauer Neuen Presse" vom 09.09.2000 erschien folgendes Interview mit Bundesumweltminister Jürgen Trittin:

Herr Minister, in wenigen Tagen soll der Atomreaktor im tschechischen Temelin, den Sie selbst als "Projekt von gestern" bezeichnet haben, scharf gemacht werden. Warum haben Sie das nicht verhindert?

Der Schalter, mit dem ich sämtliche Atomkraftwerke auf der Welt auf Knopfdruck abschalten könnte, muss noch erfunden werden. Im Ernst: Wir haben an der Ablehnung von Temelin nie einen Zweifel gelassen. Wir haben seit Regierungsantritt alle sich bietenden Möglichkeiten genutzt, in diesem Sinne auf die Entscheidung der tschechischen Regierung zur Fertigstellung und Inbetriebnahme von Temelin Einfluss zu nehmen. Im Interesse der Menschen, die im Umkreis des AKW wohnen, werden wir weiterhin auf der Einhaltung international akzeptierter Sicherheitsstandards bestehen.

Vor allem Österreich macht vorbildlich mobil gegen Temelin und will Tschechien notfalls sogar den EU-Beitritt verwehren. Warum haben Sie sich nicht mit Österreich zusammengetan, etwa wegen der EU-Sanktionen?

Ob die Art, in der Österreich in dieser Frage vorgeht, das Prädikat "vorbildlich" verdient, will ich dahingestellt sein lassen. Das Thema eignet sich weder für Kraftmeierei noch als Hebel, um die Osterweiterung der Europäischen Union zu blockieren. Dies umso weniger, als die EU in Fragen der Energiepolitik keine Zuständigkeit besitzt. Es gibt deswegen auch keine einheitlichen Sicherheitsstandards der EU für den Betrieb von Atomreaktoren. Diese Standards werden unter Beteiligung der Bundesrepublik von den Atomaufsichtsbehörden der EU-Länder entwickelt. Wenn Tschechien in die EU aufgenommen wird, wird es diese Standards beachten müssen.

Was wollen Sie jetzt konkret noch unternehmen und welche Chancen sehen Sie noch?

Die Sicherheit von Temelin ist nach Einschätzung unserer Fachleute nicht ausreichend nachgewiesen. Nach wie vor gibt es eine Reihe offener Sicherheitsfragen, die vor einer Inbetriebnahme des AKW geklärt werden müssen. Darüber finden Gespräche zwischen den Experten beider Seiten statt. In Deutschland wäre diese Anlage nicht genehmigungsfähig. Darüber hinaus bestehen wir auf der Einhaltung des deutsch-tschechischen Umweltabkommens. Darin ist die Durchführung einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung für Projekte vorgesehen, die grenzüberschreitende Umweltauswirkungen haben können. Wir haben der tschechischen Regierung mitgeteilt, dass dies unseres Erachtens auch für Temelin gilt.

Droht damit nicht genau die Situation einzutreten, vor der Ausstiegs-Kritiker immer gewarnt haben, dass nämlich vergleichsweise sichere Reaktoren in Deutschland abgeschaltet werden sollen, während im Ausland vergleichsweise unsichere neu ans Netz gehen?

Wo ist die Logik dieses Arguments? Erstens gibt es kein Land, das seine Atomanlagen für unsicher hält. Trotzdem gab es Harrisburg, Tschernobyl und Tokaimura. Zweitens: Glaubt jemand ernsthaft, andere würden auf ihre vermeintlich sicheren Atomkraftwerke verzichten, wenn wir unsere Anlagen möglichst lange am Netz liessen? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Erst wenn wir als eines der reichsten Industrielaender aus der Produktion von Atomstrom aussteigen und gleichzeitig mit dem Umstieg auf zukunftsfähige Energien beginnen, wie wir es beschlossen haben, setzen wir ein Zeichen, das auch im Ausland diejenigen stärkt, die diesem Beispiel folgen wollen.

Quelle: Bundesumweltministerium